STEVE STRAUSS’ “just like love”

Zwar werden in den CD-Booklets bei allen Stockfisch-Künstlern die Lyrics wiedergegeben. Oft wurden wir daher nach Übersetzungen solch schöner Lieder gefragt. Wie auch schon für die Songtexte von Paul Stephenson hat somit Andreas Cyffka die schwierige Aufgabe übernommen, für das neue Album von Steve Strauss Kurzfassungen der erzählten Geschichten, inhaltliche Erklärungen oder Hintergrundinformationen in deutscher Sprache zu erarbeiten:

just like love - Ein raffinierter Song über die Liebe. Der Sänger vergleicht die Liebe mit sehr verschiedenen Erlebnissen. Das den Vergleich tragende Gemeinsame – genauer: deren Summe – ergibt ein schönes Profil der Liebe: Mal ist sie sanfter Wind über Hügeln, starker und stolzer Sturm oder elektrisches Blau. Doch ist es nicht auch wie Liebe, immer (im Unklaren) zu raten einen Schritt vorauszueilen oder hinterher zu sein? Auch so ist die Liebe. Sie ist Musik, die im Kopf spielt, hat keine Zeit Schutz zu suchen. Sie macht Seelen ruhelos und lässt sie fliegen.

angel - Ein nachdenkliches Lied, von dem Steve Strauss selbst anmerkt, es sei ursprünglich ein Kommentar über New York gewesen, habe aber nach den Ereignissen des 11. Septembers eine tiefere Bedeutungsebene angenommen. Ein „moderner“ Engel segelt mit der Thermik, kreist einem Falken gleich über den Großstadtschluchten Manhattans.

Doch dem Engel geht es wie einst Ikarus. Zu nah der Sonne gekommen stürzt er (oder wie bei Steve Strauss: sie) vom Himmel. Mit dem Sturz geht es glimpflich ab: Eine Leinwandmarkise am Times Square verhindert Schlimmeres. Dennoch staunt der Engel: Die Menschen auf den Gehsteigen verhalten sich „als würden sie täglich einen Engel stürzen sehen“ ihre stupende Gleichgültigkeit ist unerklärlich – selbst in New York. Doch wenn es in Manhattan Mitternacht wird, erhebt sich „der Unterbauch, die Friedhofsschicht beginnt.“

Leere, Einsamkeit, Heimat- und Hilflosigkeit: Die Müden und die Schwachen sind Legion. Die unbedeutenden Existenzen des Schattens schreien vor Hunger, „Engel kann sie nicht retten, sie ist genauso verloren wie jeder einzelne dieser Menschen.“

Tagsüber spielt der Engel den Straßenmusikanten für Touristen, „breitet ihre farbigen Flügel aus / Sie klingt so sehr nach einem Engel / O wie gern sie sie singen hören.“ Das Leben geht weiter, „es macht's ihr leichter nicht zu vergessen: Alles, was fällt, muss wieder auferstehen.“

youngstown - Mit „Youngstown“ interpretiert Steve Strauss ein Stück von Bruce Springsteen. Dieser Großmeister der amerikanischen Rockmusik, „The Boss“ ,verarbeitet in seinen Liedern nicht selten Sozialkritisches sowie Veränderungen in der Gesellschaft. Gleichzeitig erinnert der Song als Abgesang auf eine einstmals boomende Industrieregion an „Argyle Bridge“ aus Steves erstem Stockfisch-Album „Powderhouse Road“ oder auch an Billy Joel's "Allentown".

„Hier oben im Nordosten Ohios, damals 1803, bauten James und Dan Heaton ein Eisenwerk und stellten dort die Kanonenkugeln her, die der Union (im Bürgerkrieg) zum Sieg verhalfen.“

„OK, mein Daddy kam ins Ohio Werk, als er aus dem zweiten Weltkrieg heimkehrte. Er sagte “Die Großen haben fertiggebracht, was noch nicht mal Hitler schaffte. Dies Werk baute die Panzer und Bomben, die Amerikas Kriege gewonnen haben. Unsere Söhne schickten wir nach Korea und Vietnam. Jetzt fragen wir uns für wofür sie gestorben sind.“


Der Erzähler resigniert über die „immer gleiche Geschichte“ „Gut, Sir, Sie sagen, die Welt hat sich verändert, als ich Sie reich genug gemacht habe … Reich genug, dass Sie sich nicht mehr an meinen Namen erinnern.“ So kann er wünschen: „Wenn ich sterbe will ich keinen Teil vom Himmel. Die Arbeit im Himmel würde ich nicht gut machen Ich bete, hoffentlich kommt der Teufel und holt mich Zur glühenden Höllenschmiede.“

Ein American Dream einmal anders. So wünscht auch der Protagonist in David Crosbys „Too Young to Die“: „If I die I don’t wanna go to Heaven, just want to ride … this beautiful machine.“ Die Seelenwanderung bleibt auf dem Highway …

old crow - Ein häufiges Thema in traditionellen Folksongs. Ein einsamer Mann wird vom Geist der Geliebten aufgesucht. Er folgt dem Geist, hält ihn für die Geliebte, muss jedoch die grausame Wahrheit erkennen: Die Geliebte ist tot und grüßt ihn aus dem Jenseits.: „Mir war als hätt’ ein Flüstern ich gehört / ein Regen im Morgengrauen / Eine alte Krähe im Getreide / Ich blickte aus dem Fenster / und sah sie auf dem Rasen stehen“

Die alte Krähe, die hier besungen wird, ist so eine Geistererscheinung. „Sie lächelte süß, dann wandte sie sich ab zu gehen.“

dead man´s handle - Der Totmannknopf war eine alte Vorrichtung an Eisenbahnlokomotiven. Der Lokomotivführer musste den Knopf immer gedrückt halten. Für den Fall, dass er einschlief oder während eines Überfalls erschossen wurde, würde der Knopf in die Ausgangsposition springen und der Zug anhalten:

„Gnade, Gnade mir
Dunkel ist’s in diesen Hügeln
Einen müden Weg hab’ ich noch vor mir
Einsamer Pilger, der ich bin
Oh meine Liebe
Bin so weit weg von daheim
Und dich hätt’ ich nie verlassen
Hätte ich's nur gewusst
Die Kerze an beiden Enden brennen
Bis in die späte Nacht sich anzustrengen
Die Hand schwer auf dem Totmannknopf
O Gott, bring mich heim zu meiner Lieben“

jennie mae - Der Sänger und die Liebe. Aus allen Perspektiven lotet er sie aus. In „Jennie Mae“, einem von Steves frühesten Folksongs, diesmal ironisch aufs Korn genommen. Jennie Mae, der Traum der Dockarbeiter, Matrosen pfeifen ihr nach. Allen hat sie schon den Kopf verdreht, doch „daheim in ihren Betten“ träumen die Jungs allein. Denn „leere Taschen bewegen Jennie Mae einfach nicht.“

Der Sänger, für den irdische Schätze ohnehin zu hoch hängen, kann’s ohne Moral akzeptieren und locker sehen. Er darf augenzwinkernd fragen, ob Jennie Mae ihre Liebe auch einmal gratis verschenken kann.

back

Hintergründe und Erklärungen

brother mule - Am 3. Januar 1889, auf einem Platz in Turin, brach der Philosoph Friedrich Nietzsche zusammen, nachdem er zuvor - von Mitleid überwältigt - ein von seinem Kutscher geschundenes Pferd umarmt hatte.

Das lyrische Ich in diesem Song spricht zu einem Maultier: „Hier gibt’s keine Arbeit, Bruder Maultier Hier gibt’s keine Arbeit, Bruder Maultier Eine Tasche ist leer, die andere voll und hier gibt’s keine Arbeit mehr, Bruder Maultier. Leg’ nieder die Last, Bruder Maultier … Ruh’ deine alten Knochen aus, wo es ruhig und kühl ist.“

Ein ungewöhnlich zartfühlender Mensch, der Mitleid mit einer Kreatur hat? Aber auch Kreatur und Mensch als Verbündete in einem grundlegenden gemeinsamen Wissen, das sich nicht täuschen und sich in seiner natürlichen Würde nicht demütigen lässt. „Ich werde mich zu niemands Narren machen.“ – so wie in Youngstown, in Allentown, unter der Argyle Bridge.

sunday best - Ein kleines Gemäle ländlichen Lebens voller Nostalgie und anmutiger Naivität. „In seinem Sonntagsstaat lehnt der Sprecher an der Gartentür der Geliebten, will sie entführen, mit ihm unter Wildblumen zu wandeln. Poetisch holt er ihr den Elfenbeinmond Aus jenem fernen Tal …“ „Diebe und Liebende kommen nie zur Ruhe“. So lehrt diese kleine Miniatur ruralen Liebeslebens. Doch die Liebe ist ein Segen: „Einst war ich arm, jetzt bin ich tausendfach gesegnet.“

the dirt - Was für ein Song! In langsam verschlepptem Tempo singt der Sänger „Ich bin der Schmutz“. In den Country-Kontext hat sich etwas Verstörend-Beunruhigendes geschlichen. Positive Werte wie Wahrheit werden kaum mit Schmutz assoziiert, dennoch: „Ich bin der Schmutz / Einfach und wahr / Bin, was ich bin / Mache, was ich mache“

Oder stehen sich zwei Menschen, die einst das Bett geteilt haben, als Feinde gegenüber? Der Song hat auch Aspekte einer bitteren Abrechnung, triefend vor Sarkasmus, aber immerhin mit offenem Ende. „Ich bin der Schmutz / Das hast du gesagt / Schmutzig und böse / wie Sand in deinem Bett“

Der Sänger fühlt sich "tiefer und älter" als die Angesprochene, aber "nicht halb so kalt wie du." – wie sie, die den Besen der moralischen Reinheit schon ostentativ an ihrer Tür stehen hat. Er, der sich als "eins mit den Würmern, zertrampelt von ihren großen schwarzen Stiefeln" darstellt, fragt dennoch, "kannst du mich noch mögen?"

Ein eher offenes Ende also; auch der Sprecher schließt eine Fortsetzung scheinbar nicht aus: „Leg dich auf mich, Baby / Ich mag es schmutzig / Wein auf mich, Baby / nass wie der Regen / Tritt auf mich, Baby / Ich werd’ mich erinnern / Schaufel mich, Baby, denn ich fühle keinen Schmerz“ Heftige Metaphern loten scheinbar eine dunkle Seite von Sexualität aus, der sich die angesprochene Person wie einem dunklen Sog - "fruchtbar und süß" - nicht entziehen kann: „Ich treibe durch die Stadt / mit dem nächstbesten Windstoß / Ich bin hier draußen, Baby, / Iss meinen Staub.“

lord franklin - Ein Traditional. So eben auch der Inhalt:

„Eines Nachts auf der Heimfahrt
In der Hängematte schaukelnd fiel ich in Schlaf
Ich träumte, hielt meinen Traum für wahr.
Es ging um Franklin und seine gallante Crew.
Mit hundert Matrosen segelte er
Kreuzt den gefrorenen Ozean mitten im Monat Mai
Eine Querung um die Pole suchend
wo wir Matrosen, wir Armen, manchmal fahren müssen
Grausamen Nöten tapfer sie trotzten
Das Schiff gekeilt auf der Eisberge Kamm
Nur der Eskimo im Fellkanu
War der einzige, der durchkam
...
Und nun schmerzt mich meine Last
Zehntausend Pfund ohn’ weiteres ich gäbe
Wüsst’ ich sicher, dass mein Franklin noch lebte.“


Die Geschichte vom tapferen Franklin also, der mit seinen Seeleuten in Seenot geriet. Ob er noch lebt? Auf jeden Fall in Folklore wie dieser.










closer - Möglicherweise ein Song über das Glück als allegorische Figur und die fiebrige Suche danach, die mal mehr, häufiger minder heroische Gralssuche der Glücksritter. Doch:

„Je näher du kommst, umso schneller rennt sie.
Je schneller sie rennt, umso weiter gehst du.
Sie entschlüpft deinen Händen
fliegt dem Adler gleich, schnell und lacht dabei.“


Sie, die Dame Glück, ist nicht einzuholen. Nur wenn es ihr gefällt, hält sie für einen Spieler an.

the dog and the dancing girl - Eine kleine Romanze, eine kleine Fantasie: Der Hund und die Tänzerin.Der Hund liebt die Tänzerin, die anmutig „wie ein Weidenzweig sich biegt.“ Wenn die Vorhänge aufgehen, die „gleiche alte Show beginnt,die scheinbar keiner je versteht“, wird dieses Bild tief in seine Hundeseele sinken, präsent bleiben „wenn ich meinen eigenen Schwanz jage.“

Eine Metapher einer Sehnsucht, die jemand spürt, wenn er alleinetrinkt: Schmerz einer unerrreichbaren Schönheit.

a western - Western, bekennt Steve Strauss, waren schon immer seine heimliche Liebe. Unterhalb des Klischeehaften sieht er in ihnen eine Fülle poetischer und allegorischer Symbole. Der Western als visuelles Korrelat zum mündlich überlieferten Folksong.

„Heut’ morgen bist du in die Stadt geritten als hättest du nichts zu fürchten. Aber warum sich etwas vormachen? Wir wissen alle, warum du hier bist.“

„Kommt ein schwarzgekleideter Fremder in die Stadt“,verschwindet, wem sein Leben lieb ist. Man flüstert sich zu: „Wer reitet an deiner Seite? Wer holt den Geistlichen, wenn du bereit bist zu sterben?“ Die Spannung erreicht den klassischen Höhepunkt, da wo „Männer ihren Kummer in Bourbon ersäufen oder sich in ihren Hüten verstecken:“ In dieser Welt so harter Männer fällt die letzte Kameraeinstellung aber auf eine Frau: „Wer gibt deiner armen Mutter deine letzte Münze?“.